Vulkan Mutnovsky

Kann ich im leicht angereiften Alter von 64 Jahren und (schon aus Prinzip und wahrscheinlich gegen alle ärztliche Vernunft) ohne Training meinen selbstgewählten Lieblingsberg, den Vulkan Mutnovsky erklimmen? Ich kann mich selbst nicht als richtig sportiven Typen bezeichnen. Ok, ich schwimmbade ganz gerne. Früher war ich mehr und intensiv Schi fahren (inkl. konditionsschmälernden Hüttenstopps). Und ab und zu folge ich meiner Frau auch gerne, wenn Sie mich als Begleiter für ihre Jogging-Ausflüge in den Prater anfordert. Wobei wir da auch nicht mehr als sorgfältig gemessene 5500 Schritte absolvieren (also jeder für sich). Und ich dabei manchmal auch – Rocky Balboa-gleich – den Konstantin-Hügel bei der Hauptallee erklimme.

Dieser Blogbeitrag, ein Protokoll eines vulkanösen Aufstiegs, endet positiv (das sei vorweg genommen) und soll/wird Ihnen schlussendlich auch etwaige Vorbehalte oder Bedenken gegen eine Mutnovsky-Besteigung nehmen (wir haben jedoch auch eine Alternative: die ganz einfach zu bewandernden Datschnye-Quellen am Fuß des Vulkan Mutnovsky).

Schon im Vorfeld begann ich zu recherchieren: wer war eigentlich Mutnov oder Mutnovsky, nach dem dieser dynamische Vulkan benannt ist? Ein feuriger, sibirischer Kosake? Ein adeliger polnischer Geologe? Ein pfeifenrauchender Freund von Vitus Bering? Ich dachte wieder einmal zu kompliziert. „Mutnyi“ ist das russische Wort für trüb, verschleiert, bedeckt. Sonnenklar: unser hyperaktiver Feuerkegel hat sich immer schon selbst eingeraucht, ist  auch oft von Nebel- und Regenwolken umgeben. Mutnovsky – der Wolkenumschleierte. Sein höchster Punkt liegt auf 2322 Meter, aber so hoch können/wollen wir nicht. Unser Ziel ist der Krater.

Morgens in Paratunka, es ist noch finster. Nur drei Mücken sind schon auf. Wolfgang und ich sind leicht aufgeregt. Begleiter Grigory und Fahrer/Bergführer in Personalunion Nikolai (jung, sympathisch und so lässig; er stellt sich als Nick vor, könnte Kalifornier sein) erwarten uns. In einem speziell für’s Gelände aufgemotzten 4WD-Toyota mit Megarädern. Die brauchen wir auch, um halbwegs komfortabel die ziemlich bald nach Abfahrt beginnende Piste und später die Schneefelder  zu bewältigen. Unsere Gruppen werden in besonders speziellen Geländebussen unterwegs sein: Passagierraum mit bequemen Bussitzen, montiert auf einem Kamaz-LKW. Die werden im russischen Tatarstan gebaut und sind Rallye Dakar-bewährt.

Die geländegängigen Gruppenfahrzeuge – eine recht komfortable Improvisation

Insgesamt dauert die Fahrt bis zum Fuß des Mutnovskys fast vier Stunden. Es gibt viele Schneefelder (zu viel Schnee für diese Jahreszeit meint Grigory) und wir bewegen uns teilweise langsam. Doch die Landschaft ist sehr beeindruckend. Zwei interessante Stopps haben wir: der erste nach kurvenreichem Anstieg auf dem Viljuchinsky Pass (mit Blick auf den gleichnamigen Vulkankegel; die Raststelle zieren drei Totempfähle) – ohne Tierbegegnung (Nick meint, wir sollten auf Bären achten). Und der zweite mit: putzige und neugierige Murmeltiere flitzen durch die Bergtundra, lassen sich sogar füttern. Nick hat ganz, ganz zufällig Nüsse mit.

Atemberaubender, atemraubender Aufstieg

Wir passieren tiefblaue Schmelzseen, die von den Wolken nur ungern freigegeben werden, überqueren Lavahindernisse, dann ist es vorbei. Mit dem Auto geht nichts mehr. Unser Aufstieg beginnt. Zuerst über breite Schneefelder, dann über Felsen und vulkanisches Gestein. Wir kommen bald ins Schwitzen, Nick bleibt cool. Rechts von uns können wir den Wasserfall des Opasny Canyons nur hören, der Mutnovsky macht seinem Namen Ehre, es wird nebelig-trüb. Weiter oberhalb müssen wir eine doch ziemlich abschüssige Schnee- und Geröllpassage queren und beginnen unsere Trekkingstöcke zu schätzen. Es wird steiler, links unter uns gibt es Spalten und Höhlen im schmutzigbraunen Eis. Nur nicht ausrutschen. Immer wieder müssen wir großen, herumliegenden Lavabrocken ausweichen. Beim nächsten steileren Abschnitt, der mir die Luft raubt, täusche ich eine Fotopause vor, um wieder zu Atem zu kommen. Aber keiner glaubt mir. Es gibt auch nichts abzubilden, die hell-, dunkel- und rostbraunen Felswände verstecken sich gerade hinter Nebelschwaden. Sehr schade, dass gerade heute die Sicht eingeschränkt ist. Nick transpiriert noch immer nicht, was für ein unsympathischer Bursche. Wir beide sind stark verschwitzt          und leicht erschöpft. Nach etwas mehr als 2,5 Stunden Aufstieg erreichen wir auf einmal ziemlich überraschend unser Ziel: wir sind im Krater des Mutnovsky.