Es ist nicht ganz auszuschließen, aber wir haben es bei der Nordost-Passage bisher noch nicht gehabt: ein Pärchen, das mit uns zum Flittern nach Kamtschatka reist. Oder gleich weiter. Über Kamtschatka nach Alaska und Kanada. Ich kann aber von einer tatsächlichen Honeymoon-Reise, einer historischen, hochzeitlichen Nordost-Passage berichten. Vor nunmehr knapp 100 Jahren zog es den schwedischen Naturforscher und Botaniker Eric Hulten mit seiner Jungangetrauten nach Kamtschatka. Seiner Frau Elsie wäre möglicherweise das traditionelle Flitterwochenziel Venedig (damals noch overtourism-los) und die nahen Lagunenstrände lieber gewesen. Aber Eric war ein junger, begeisterter, begeisternder Wissenschaftler und Forscher und hat seiner Elsie möglicherweise die an der Avacha-Bucht liegende Stadt Petropavlovsk als „Venedig des Nordostens“ beschrieben und von den nahen vulkanischen Paradiesstränden überzeugend geschwärmt.
Lange Anreise nach Kamtschatka
Nicht so flott wie bei der Nordost-Passage – ihre Anreise dauerte drei Monate. Sie führte sie zum Mittelmeer, aber statt einem Venedig-Besuch und einem Liebescocktail in der Harry’s Bar (die erst elf Jahre später eröffnet wurde) ging es gleich per Schiff Richtung Süden und Osten. Durch den Suezkanal, vorbei an Indien nach Singapur, Hongkong, Shanghai und Yokohama. Sie nahmen in der nordjapanischen Hafenstadt Hakodate nicht das erstbeste Schiff Richtung Kamtschatka. Was für das junge Glück ganz gut war, denn der auch Schießpulver und Treibstoff transportierende Schoner explodierte bald nach Ablegen.
Das Schiff der zweiten Wahl, die „Kommandor Bering“, war die Yacht des früheren zaristischen Gouverneurs von Kamtschatka, jedoch im Verlauf des russischen Bürgerkriegs schon von dessen sowjetischem Nachfolger „übernommen“. Vielleicht waren die Bolschewiki-Matrosen noch etwas unerfahren, vielleicht revolutionär abgelenkt. Vielleicht war auch ein in diesen Breiten nicht unüblicher Sturm zu heftig. Die Fahrt endete jedenfalls mit Schiffbruch an einem Felsen des Kap Lopatka auf der Südspitze Kamtschatkas (nur 70 Kilometer von unserem Ausflugsziel „Kurilensee“ entfernt; vgl. Reiseverlauf Tag 5).
Hulten berichtete: „Das Leben im Notlager wurde durch die geretteten Gegenstände rasch erträglich. Wir schossen Enten und grillten sie am Spieß, es gab reichlich Fisch und der Wodka floss wie Wasser. Die Signalraketen wurden alle nur zum Spaß abgefeuert“ (Quelle: The last giant of Beringia, S 60f; Dan O‘ Neill 2004, Basic Books).
Endlich forschen
Immerhin schon nach zehn Tagen quasiparadiesischem „Castaway“, Feuerwasser und Feuerwerk wurden die Schiffbrüchigen von einem japanischen Kreuzer gerettet und nach Petropavlovsk gebracht. Wo Eric fröhlich zu forschen begann, Pflanzen entdeckte, sammelte und dokumentierte. Sich nur vor den Kamtschatkabären und den sich damals bekämpfenden revolutionären, roten und zaristischen, weißen Garden in Acht nehmen musste.
Es hat Eric und Elsie dann forschenderweise auch auf die Aleuten, nach Alaska und ins Yukon-Gebiet gezogen. Eric Hulten wurde zum bedeutendsten Geobotaniker und Pflanzengeograph des Nordens. Er entdeckte während seiner Tätigkeit auch die große Ähnlichkeit der Flora Sibiriens und Kamtschatkas mit der in Alaska und Westkanada. Stieß dadurch auf die heute teilweise nur 60 Meter unter der Meeresoberfläche liegende, eiszeitliche, interkontinentale Landmasse. Entwickelte erstmals die heute allgemein anerkannte Hypothese einer archaischen Landbrücke zwischen Eurasien und Amerika. Er nannte sie nicht Elsia, sondern „Beringia“.