Tschaikovsky am Mutnovsky

Die uns umgebende  eindringliche Natur, die mächtigen, archaischen Felsformationen in Grau-, Braun- und Gelbtönen um uns, die aufsteigenden Dampfgebilde, der Gletscher visavis, der schwindelerregende Blick tief in den Krater beeindrucken uns. Die Urkraft des Vulkans ist sichtbar, spürbar, macht uns irgendwie betroffen. Hier, wo die Erde sichtlich nicht zur Ruhe kommt, hält uns etwas abseits der Gase auspfauchenden Fumarolen und wenn ab und zu der Wind nachlässt eine fast meditative Stille gefangen. Öffnet unsere Seelen. Lässt uns unsere Müdigkeit vergessen, den Flow des Gipfelstürmers spüren. Wir sind „Vulkanauten“. Mehr ist fast unmöglich. Fast. Für die Steigerung sorgt meine geöffnete russische Seele. Sie rät mir zu einem der bekanntesten Komponisten Russlands: Tschaikovsky am Mutnovsky.

Ich habe die heute ja schon sehr kompakte Technik heimlich in meinem Rucksack mitgenommen, Sherpa-gleich statt Energy Drink-Dose (diesmal wirklich nicht Wodka) und Müsliriegeln meinen Lautsprecher auf den Vulkan mitgeschleppt. Also die Minisoundbox der Woodstock-erprobten Firma JBL. Aus der klingt nun, in nicht ganz exakter Musikvereinsqualität, der 3.Satz der „Pathetique“, der berühmten 6.Sinfonie von Peter Iljitsch Tschaikovsky. Sie gleicht für mich in ihrem Aufbau unserem sich von einer beschwingten Wanderung über Schneefelder zu einem kraftvollen Marsch über Lavabrocken und Geröll entwickelnden Aufstieg und der schließlich erfolgreichen, fast pathetischen Eroberung des Vulkankraters. Mit passender Urkraft interpretiert von den Wiener Philharmonikern unter Herbert von Karajan (ohne Nebel auf Youtube, ab Minute 28:15). Mit lebhaftem Allegro molto vivace. Obwohl wir bergauf ja eher Andante unterwegs waren.

Kein „Schwanensee“ am Kratersee

Eine Tournee führte Pjotr Iljitsch 1891 westwärts nach Nordamerika. Bis ins fernöstliche Kamtschatka hat er es leider nie geschafft. Zwei Jahre danach und nur neun Tage vor seinem Tod wurde die 6. Sinfonie in St.Petersburg uraufgeführt. Wenn ich das nächste Mal in der Stadt an der Neva bin, werde ich den Friedhof beim Alexander Nevski-Kloster besuchen. Und einen Vulkankiesel vom Mutnovsky auf sein Grab legen.

Vulkan und Komponist können wir bereits hier unseren Respekt erweisen, im Rahmen einer kleinen, dezenten…

Kraterbezwingungsfeier

Wir lassen uns durch Nebelwolken und beginnenden Regen nicht abschrecken. Diesmal ist es Wolfgang, der Außerordentliches aus seinem Wanderrucksack zum Vorschein bringt, sehr zum Anlass passend: ein Flascherl Rotwein. Nicht irgendeiner, sondern sorgfältig, ja raffiniert gewählt: die rote Cuvee „Vulcano“ (2014) ist ein Spitzentröpferl des Blaufränkisch-Pioniers Igler aus dem burgenländischen Deutschkreutz. Noch nie hat das von Prof. Anton Lehmden gestaltete Etikette so gut gepasst wie hier. Wolfgang hat 91 Falstaff-Punkte auf den Mutnovsky geschleppt! Wir erkennen dunkles Rubinrot und fast fumarolig-violette Reflexe. Glauben nicht, dass der Kontakt mit pazifischer Höhenluft und etwas Nebel Aroma und Kraft  noch wesentlich verbessern kann. Wir prosten uns zu, viele Tausende Kilometer von den Weinbergen und dem mit 606 Metern Seehöhe etwas leichter ersteigbaren Gipfel  des Brentenriegels im Ödenburger Gebirge entfernt. Erinnern uns: gerade heute ist der letzte Tag des jährlichen Deutschkreutzer Rotweinfestivals (das wir eigentlich hier gleich mitfeiern). Wolfgang gesteht, dass er in Vorbereitung unserer Reise schon zu Hause ein bisschen trainiert hat. Also nicht Vulkan besteigen, sondern Vulcano verkosten. Und zaubert aus dem Rucksack noch ein Stück Käse.