Fünf Tage bin ich jetzt wieder zu Hause. Ebenso begeistert und zufrieden wie alle Passage-Teilnehmer der ersten Gruppe. Ich sichte die unzähligen Fotos, meine Reisenotizen. Das Logbuch hat sich übrigens bewährt und wurde von den meisten Reiseteilnehmern genutzt. Ich kämpfe noch immer mit einem Jetlag, der sich weniger durch sechs Stunden Zeitunterschied zu Toronto ergibt, sondern sich als Akkumulation von wenig bewältigten Zeitdifferenzen während der gesamten Weltreise darstellt. Trotzdem, als alter Karl May-Fan wollte ich mir eine neue, hochoriginelle Interpretation seiner Lebensgeschichte nicht entgehen lassen und besuchte gestern Abend mit einigen Freunden fast ausgeschlafen die Premiere des „Stationentheaters“ im ehemaligen Luftschutzbunker in Mödling (noch bis 2.September; DO-SO ab 18.30, Einlass alle 15 Minuten).
Über sechzig Darsteller (darunter, welch Freude, mein Freund Wolfgang Lesky als Old Shatterhand) spielen Abschnitte und Ereignisse aus May’s Realität und Phantasie. „Karl MayBe. Mit Schmetterhand und Silberbüchse. Die erschwindelten Lebensreisen des Zuchthäuslers Karl May“. Naja…was heißt erschwindelt? Muss der Titel so reißerisch sein? In den Auftritten erleben wir ihn dann weniger als hochstaplerischen Kleingauner. Eher als Phantast. Sogar als Friedensmahner, dessen Vortrag in den nur 200 Meter von meinem Büro entfernten Sophiensälen anno 1912 auch Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner besucht hat.
Karl May in Niagara Falls
In einer der letzten Szenen spricht Klara, May’s zweite Frau, über die gemeinsame und reale Reise nach Amerika (1908). Vom Besuch der Niagara Falls und eines Indianerreservats. Es sind gerade einmal sieben Tage vergangen, seit ich mit meiner Passage-Gruppe vor dem Grundstück des ehemaligen Clifton House stand, in dem die beiden damals wohnten und begeistert auf die Niagara-Fälle blickten. Keine 50 Meter entfernt von unserem Nordost-Passage Quartier, dem Crowne Plaza Hotel. Von dessen Rainbow Dining Room im 10.Stockwerk wir ebenso und ebenso begeistert die American Falls und die kanadischen Hufeisenfälle bewunderten, auf das unter uns liegende Oakes Garden Theater blickten. Hier stand das Clifton Hotel, das 1932 abbrannte und nie wieder aufgebaut wurde. In Winnetou 4 (Winnetous Erben) wohnt auch der alte Old Shatterhand im komfortablen Clifton House.
Gleich danach wird im Bunkertheater (tief im Inneren des Berges; ich fühle mich erfrischend unwarm) die wahrscheinlich einzige echte Begegnung Mays mit einem Indianer reflektiert: bei einem Ausflug ins Reservat der Tuskarora trifft er deren herunter gekommenen, Trinkgeld fordernden Häuptling. Die durch ein Foto bewiesene Begegnung macht mich eher betroffen. Aber fasziniert mich auch: zeigt es doch ein Tipi-Zelt aus Rindenholz. Das dem Zelt des alten Volkes der Evenken in Sibirien (Tag 5 der Nordost-Passage) total gleicht.
Die Wurzeln der Apachen liegen nicht in der Prärie Nordamerikas (und schon gar nicht am Rio Pecos in New Mexico), sondern in der Taiga. Wir Bleichgesichter haben die Spuren Winnetous bereits in Sibirien und auf Kamtschatka gelesen. Seine Ururoma und Ururopa kamen über die Beringia-Landbrücke und wurden ein Teil der First Nations Amerikas.