Vladivostok – das Ende der Welt?

Heute haben bei uns vier  junge “Rucksacktouristen” eine Transsib-Fahrt gebucht. Mit der Bemerkung: „Endstation Vladivostok – das Ende der Welt “ Sie haben damit mein Fernostfernweh (wieder) entzündet…

Beherrsche den Osten! Das ist die wörtliche Übersetzung von Vladivostok, den für uns Zentraleuropäer weißen Fleck am Goldenen Horn, der wichtigsten Hafenstadt Russlands am Pazifik und Endpunkt der Transsibirischen Eisenbahn. 9288 Kilometer legt die Transsib, in Moskau beginnend, zurück, bevor sie im heute prachtvoll renovierten und Zarenzeit-Atmosphäre ausstrahlenden Bahnhof im Zentrum der Stadt und nahe dem Hochseehafen einfährt. Deutlicher erkennt man die zurückgelegte Distanz, wenn man sich den Zeitunterschied anschaulich macht. Sieben Stunden von Moskau, täglich durchfährt der Zug eine Zeitzone. Vladivostok ist eigentlich schon das Ende der Welt. Für uns jedoch das Tor zu einer neuen, einer Welt, die bis 1991 nicht zugänglich war, zu UdSSR-Zeiten militärisches Sperrgebiet.

Der frühere sowjetische Staatschef Nikita Chrustchow hat die Stadt einmal begeistert das “fernöstliche San Francisco” genannt. Tatsächlich erinnern die Hügel der Stadt, die Buchten und Inseln, noch dazu im warmen und angenehmen Sommer, an die Metropole Kaliforniens. Hinzu kommt die Mischung aus Ost und West und die für Hafenstädte typische Vielfalt an Einwohnern und Besuchern: neben originalen Russen und einigen russisch-fernöstlichen Minderheiten sieht man auch Koreaner und Japaner. Und natürlich Chinesen, die Staatsgrenze liegt nur rund 50 Kilometer entfernt. Die Geschichte der Stadt erkennt man auch an ihren Bauten: russisch-orthodoxe Zwiebeltürme, lutheranische Kirche und Chinesenviertel. Moderne Gebäudekomplexe, manche im neurussischen Kitsch-Barock, mischen sich mit sowjetischen Plattenbauten und historischen Häusern der Pionierzeit. Das heutige, architektonisch interessante Kaufhaus GUM war Zentrale eines von Hamburger Kaufleuten 1864 gegründeten Handelsunternehmens. Der Triumphbogen (nach der Revolution zerstört) zu Ehren des Zarewitsch Nikolai wurde 2003 wiederhergestellt. Vom Adlernest, einem 200 Meter hohen Stadthügel, bietet sich ein imposanter Panoramablick über Zentrum, Hafen, die neue, mächtige Schrägseilbrücke und über den Pazifik.

2012 fand ein Gipfeltreffen von APEC, der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft im extra dafür errichteten, neuen Konferenzzentrum auf der zum Stadtgebiet zählenden Insel Russkij statt. Dazu wurden zwei große Hängebrücken errichtet, deren höchster Pylon mit 320 Metern sogar die “Golden Gate” übertrifft (übertreffen musste). Die Russkij-Brücke wurde dadurch zum neuen Wahrzeichen der Stadt und Symbol für das heutige moderne und weltoffene Vladivostok. Mit der großen Konferenz verbunden waren auch weitere infrastrukturielle Verbesserungen und Investitionen: Ausbau des Flughafens, des Strassennetzes; Renovierung und Errichtung von Hotels; Bau des Primorje-Ozeanariums und eines Opernhauses. Jedenfalls ist Vladivostok eine zusätzliche und wirklich sehenswerte Station unserer Passage.

Alfons in Vladivostok?

Ich war schon länger nicht mehr in Vladivostok und freue mich auf die Reisebegleitung 2018 als Passageleiter. Mit “meiner” Gruppe den Bahnhof mit dem Transsib-Obelisken, die Fußgängerzone, das alte Kaufhaus “Kunst&Albers” zu erforschen. Bei meinem letzten Stadtbummel stand ich plötzlich vor einer großen, grauen Statue. Auf einem Steinsockel thronte stolz Mongkut, der frühere König von Siam (mir als Thailandfan vertraut). Zuerst fragte ich mich natürlich, wie es ein Denkmal von Alfons Haider bis nach Vladivostok verschlagen kann (eine seiner besten Rollen im Musical „The King and I“ bei den Stockerauer Festspielen). Doch bei näherer Betrachtung erkannte ich: es ist nicht Alfons, sondern Yul. Yul Brynner, eigentlich Jules Bryner, noch eigentlicher Juli Borissovitsch Briner, passt gut in das facettenreiche Mosaik unserer Nordost-Passage: sein Vater ein Schweizer Mongole, die Mutter Russin. Geboren hier in Fernost, gestorben an der amerikanischen Ostküste. Er war, so wie er hier vor seinem Geburtshaus steht, der geniale (und Oscar-gekrönte) Darsteller von Mongkut im Film  „Der König und ich“. Er war aber auch der wilde Dimitrij in „Die Gebrüder Karamasov“ und der Wildwest-Revolverheld Chris, der Einser der „Glorreichen Sieben“.

© Rbrynner/Wikipedia