Hugo Portisch in Sibirien

Es wird gefeiert. Hugo Portisch, Österreichs bedeutendster, sicher auch populärster Journalist („Doyen des österreichischen Qualitätsjournalismus“), feiert seinen 90. Geburtstag. (Portisch-Webseite / Portisch in Wikipedia) In mein Leben trat er schwarzweiß, als der breiten Masse (also auch mir) die Welt deppensicher erklärender TV-Analyst des ORF. Seine Kommentare verunsicherten mich. Gerade hatte ich die mir in langen Schuljahren vermittelte deutsche Grammatik verinnerlicht, nun traf ich auf einen, der im Fernsehen „ohne Punkt und Komma“ sprach.  Die Welt bereiste und erklärte. Zum Beispiel die Sowjetunion: Hugo Portisch in Sibirien. Sein Buch „So sah ich Sibirien“ (der kontinentalen Erstreckung entsprechend auf 343 Seiten plus Nachwort; mit vielen Punkten und Kommas) erschien 1967, ich habe es vor vielen Jahren antiquarisch erstanden. Und verschlungen. Seine Bestandsaufnahme, seine Blicke hinter den Ural enthalten auch heute noch, bei x-ter Lektüre, viel immer noch Aktuelles. Sibirien, der russische Ferne Osten, waren eben auch damals schon anders, nicht nur dogmatisch-sowjetisch.

Auf den Spuren von Hugo Portisch

Wir folgen seinen Spuren, wenn wir in Novosibirsk das damals noch junge Opernhaus (Fertigstellung 1945) sehen, das größte Russlands. Oder am Baikalsee durch Listvjanka spazieren, das, so Portisch, früher ein Dorf „…der Holzfäller, der Jäger und Fallensteller, der Fischer und der Beeren- und Pilzesammler“ war. Erwähnt wurde das  „Lärchendorf“ erstmals bereits 1772. Heute hat es sich zum Ausflugsziel für die Irkutsker Stadtbevölkerung und Besucher aus aller Welt entwickelt. Manche der alten Blockhäuser mussten neuen Hotels weichen oder mutierten zu Gästehäusern und Souvenirshops. Doch etliche der alten Holzhütten mit ihren bunten Fensterläden sieht man auch heute noch.

Sicher hat Portisch auch die nicht nach dem letzten Zaren, sondern nach dem heiligen Nikolaus genannte Kirche besucht. Das kleine Holzgebäude ließ der Kaufmann Sibirjakov in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts errichten, zum Dank seiner Errettung aus Seenot. Ja, der Baikal kann schon einmal wild wie der Bodensee werden. Die Nikolai-Kirche wurde in den letzten Jahren renoviert und ist mit ihrer kleinen, goldenen Kuppel und der Ikonenwand ein echtes Schmuckstück.

Nikolaikirche
Nikolaikirche in Listvjanka
Ikonenwand
Ikonenwand

Hugo Portisch in Sibirien. Er fuhr auch mit der Transsibirischen, bis zur damaligen Endstation, dem Zivilhafen Nachodka. Vladivostok (siehe auch Blogbeitrag) war in den Zeiten der UdSSR sogar für die eigenen Bürger „verbotene Stadt“, da Sitz der sowjetischen Pazifikflotte. Schmunzelnd lese ich seine Beschreibung des Zugabteils: „In der Mitte des Abteils ein fixierter Tisch mit Stehlampe und propagandistischer Reiselektüre: Auszüge aus Lenins Werken, Berichte über den letzten Parteikongreß der KPdSU…“ Geblieben ist nur das Tischchen.

Die alten Holzhäuser mit ihren bunten Fensterläden sind heute eines der beliebten Fotomotive beim Spaziergang durch Listvjanka. Sie finden sich auch im fünfzig Jahre alten Buch von Hugo Portisch.